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Die zwei Seiten des Siegerpokals

„Der Grand Prix in Bahrain war das umstrittenste Formel-1-Rennen der jüngeren Geschichte“ – so sieht es zumindest Ulrich Leidholdt, ARD-Hörfunkkorrespondent in seinem Bericht auf tagesschau.de.

Während in der Steinwüste von Sakhir, auf der Strecke ‚International Circuit’ in der Hauptstadt Manama ein Rennfahrer dem nächsten auf den Fersen war, 57 Runden hasten musste – 5,412 Kilometer pro Runde -, sich Sorgen machte um Gripdefizite durch Sand (Gripniveau: mittel bis gering), mit vielen engen Kurven zu kämpfen hatte und einen hohen Reifen- und Bremsenverschleiß fürchtete, hatten die Einwohner Bahrains ganz andere Probleme. Nämlich politische.

Im arabischen Inselstaat Bahrain herrscht unter Hamad bin Isa Al Chalifa, welcher sich vor zehn Jahren selbst zum König ernannte, konstitutionelle Monarchie. Der Islam ist Staatsreligion, es herrschen dauerhafte Unstimmigkeiten zwischen Sunniten und Schiiten. Die Menschen sind beflügelt vom arabischen Frühling und demonstrieren gegen das Regime, für mehr Freiheit und Demokratie.

Der Große Preis von Bahrain fand zum ersten Mal 2004 statt. Gebaut vom deutschen Architekten Hermann Tilke, mitten in der Wüste eines Landes voller Erdöl. Die einzige Steuer, die hier erhoben wird, ist die Mehrwertsteuer auf Benzin – da ist ein Formel 1 – Rennen für den monarchischen Staat der Himmel auf Erden. Vollgasanteil der Strecke: 70 Prozent.

Während am Sonntag, dem 22. April 2012, Sebastian Vettel auf seinen Siegerpokal zuraste, protestierten massenhaft Einwohner gegen das Regime. Wo die Formel 1 ist, da sind auch Medien, wo Medien sind, da lohnt es sich zu Protestieren: die Welt soll sehen, wie es den Inselbewohnern ergeht, wie sie leben unter den Fittichen von Al Chalifa. Der Plan, die Aufmerksamkeit auf die politischen Verhältnisse zu lenken, hat – wenn nur teilweise – funktioniert: die Polizeigewalt kam zu Tage, die Opposition erwähnte, dass diese Proteste regelmäßig in Bahrain stattfinden – gegen Unterdrückung, gegen das scheinheilige Bild des Inselstaates, das der König nach außen hin der Welt präsentieren will.

Bahrain: übersetzt heißt der Name so viel wie „zwei Meere“. Ein vorderasiatisches Land zwischen dem Persischen Golf und dem Golf von Bahrain. Geteilt in Regime und Opposition. Verteilt an Sunniten und Schiiten.

Das erste Rennen 2004 machte Michael Schumcher mit Ferrari – sein damaliger Rundenrekord ist immer noch aktuell: 1:30.252 Minuten. 2005 und 2006 siegte der Spanier Fernando Alonso mit Renault, 2007 und 2008 der Brasilianer Felipe Massa mit Ferrari, 2009 der britische Jenson Button mit Brawn-Mercedes, 2010 wieder Alonso. 2011 siegte niemand.

2011 wurde der Bahrain-Grand-Prix wegen politischer Unruhen abgesagt. In dem Jahr, in dem der arabische Frühling durch die Medien raste – nicht die Sportwagen.

2012 siegte nun der Deutsche Sebastian Vettel mit Red Bull-Renault. Pole-Position, schnellste Runde – alles unter Vettels Fittichen. Während er seinen neuen Pokal mit Küssen bedeckte, wurden Medienberichten zufolge wenige Kilometer entfernt Gummigeschosse und Tränengas gegen Aufständische eingesetzt. Zeitgleich genug, um Vettel nach seiner Meinung zur politischen Situation in Bahrain zu fragen.

„Er verstehe die ganze Aufregung nicht, Sportler gehe die Sache nichts an. Ihn interessieren nur Reifentemperaturen und Rennwagen“ – ein Statement, das zwar durch die Medien ging und für Aufregung sorgte, jedoch genauso schnell wieder vergessen wurde, wie Vettel seine Runden im International Circuit drehte. Der 24-jährige Weltmeister war wohl ganz in seinem Element. Vielleicht der Grund für seinen abermaligen Sieg: ihn scheint nichts zu kümmern, was nicht mit der Formel 1 zu tun hat. Da bedrücken Vettel Junior auch keine Proteste, Unterdrückungen und Gewalttaten gegen Oppositionelle eines Regimes – solange das jeweilige Land ihm die Rennstrecke gewährleistet und ihm zu Millionen verhilft – so könnte man meinen.

„Reifentemperaturen und Rennwagen“ – das sind für Vettel die wichtigen Dinge des Lebens. Traurig nur, dass die Weltbevölkerung es – der Resonanz nach zu urteilen – wohl ähnlich sieht. Was die Bundesregierung von ihrem Weltstar hält, ist noch unklar. Das schlimmste was passieren kann: Sie nimmt es sportlich.

Für die Bevölkerung Bahrains bleibt zu hoffen, was für ‚International Circuit Bahrain’ schon von Anfang an galt – Fahrtrichtung: im Uhrzeigersinn.


How much is a human? Oder zu deutsch: Wie viel kostet ein Menschenleben?

50.000 Dollar (37.700 Euro) – das scheint die Antwort der US-Amerikaner zu sein. Das gilt sowohl für Kinder als auch für Erwachsene, für Frauen als auch für Männer gleichermaßen. Die Summe wird lediglich dann ausgezahlt, wenn ein Zivilist tatsächlich tot ist – für Verletzte gilt eine Sonderregelung: zur Zeit 11.000 Dollar pro Person. Die Kosten beziehen sich vorerst nur auf afghanische Bürger. Wie es um Zivilisten anderer Nationalitäten steht, ist (noch?) nicht bekannt. Vielleicht ist das eine unverbindliche Preisempfehlung seitens der US-Amerikaner. Wer weiß das schon so genau?

So oder so ähnlich hat es sich womöglich abgespielt, als es um die Entschädigung für den Amoklauf des US-Soldaten Robert Bales im Süden Afghanistans (Najib Yan) ging. Nach Angaben von Spiegel-Online (s. Link) haben die USA am Samstag an die Verbliebenen der Opfer die oben genannten Summen gezahlt. Als Quelle gibt die Redaktion ein Mitglied des Provinzrats von Kandahar an, Agha Lalai.

Am 11. März erschoss der amerikanische Stabsunteroffizier 17 Zivilisten, darunter neun Kinder und acht Erwachsene. Sechs weitere Menschen wurden verletzt. Bales kam ins Gefängnis, ihm droht eine lebenslange Freiheitsstrafe, unter Umständen die Todesstrafe. Die US-Militärjustiz klagte den 38-jährigen in mehreren Punkten an, u.a. wegen Mordes, versuchten Mordes und Angriffs. Der Prozess wird allem Anschein nach in den Vereinigten Staaten erfolgen. Der Amoklauf spielte sich zwar in Afghanistan ab, Bales allerdings ist amerikanischer Staatsbürger – Grund genug für die Weltmacht, selbst für die Bestrafung Bales’ zu sorgen.

Da sieht sich die selbsternannte World Police wohl immer noch am liebsten: beim Richten über Menschen. Und neuerdings auch beim Gewichten von dem Wert ihrer Existenz. Was sich in der Debatte um Guantánamo unterschwellig gezeigt hat, scheint nun offensichtlich: die amerikanische Regierung handelt wenig moralisch im Umgang mit Menschen. Dafür umso kapitalistischer: Alles scheint man mit Geld aufwiegen zu können – im Notfall auch human beings.

Neben der Frage, wie die Amerikaner diesen Betrag errechnet haben, bleibt auch die Intention hinter der finanziellen Entschädigung offen. Ein Zeichen der Macht gegenüber dem Nahen Osten (und der Welt)? Als Schweigegeld für mögliche Hinweise, Ermittlungen und somit – für die Amerikaner – unangenehme Folgen? Oder tatsächlich als Zugeständnis seitens der USA, dass ihnen ein (afghanisches) Kind gerade einmal 50.000 Dollar wert ist?

Vielleicht sollte man es aber nicht so dramatisch sehen. Vielleicht wollten die Amerikaner durch eine, gemessen an den Lebensverhältnissen in dem Dorf Najib Yan, hohe Summe wenigstens die Lebensverhältnisse der Verbliebenen aufbessern. Als Wiedergutmachung  für den Amoklauf eines amerikanischen Soldaten in einem Land, in dem die USA Krieg führen. Mit Soldaten, die nach Angaben der Armee unter Ehe-, Alkohol- oder Geldproblemen leiden, gestresst und traumatisiert sind von Einsätzen im Irak-Krieg und nun auch von Afghanistan-Einsätzen.

Ein furchteinflößendes Bild, was sich nun in den Medien verbreitet. Von einem halben Kontinent, der 50 Bundesstaaten umfasst und sich selbst als Weltmacht sieht.

Doch will der Rest der Welt tatsächlich jemanden an der Spitze sehen, der sich sein Ansehen zu kaufen versucht, Macht über Moral setzt und für den eigenen Präsidentschaftswahlkampf mehr Geld ausgibt als für ein Menschenleben? Vielleicht sollten  die Amerikaner weniger Zeit mit Krieg verbringen und sich mehr Zeit für’s Angeln nehmen. Denn wie heißt es so schön: „Angeln ist ein großartiger Anschauungsunterricht für die Gleichheit der Menschen – vor den Fischen sind alle Menschen gleich!“